Serie: homesick.
Tizian Machtolf
Düsseldorf, 23 Jahre
Deutscher Jugendfotopreis 2022
Freie Themenwahl | Altersgruppe D (21-25 Jahre)
Hauptpreis 500 €
Jurybegründung
Auf den ersten Blick scheint „homesick.“ von Tizian Machtolf eine minimalistische Bildserie über Architektur zu sein. In einer formalen Eigenständigkeit und mit einer ganz spezifischen Farbigkeit. Auf den zweiten Blick fallen die vereinzelten Menschen auf, die hinter den bunten Fassaden mal mehr, meist aber eher weniger Kontakt zueinander aufbauen. Ab und zu traut sich mal jemand auf den Balkon – ein Corona-Zeitdokument. Entstanden während des Lockdowns, handelt die Arbeit vom Isoliert-Sein, vom Drinnen-Leben und von Kontakt-Einschränkungen. Eine Arbeit aus einer Zeit des Alleinseins, des Sich-Distanzierens, zwangsläufig auch aus der Distanz fotografiert. Auch wenn die konzeptuell angelegte Serie zunächst analytisch wirkt, vermittelt diese Arbeit auf den zweiten Blick viel Gefühl. Ein Gefühl, nicht plakativ dargestellt, aber für uns alle absolut nachvollziehbar: Mit seiner Serie „homesick.“ nimmt Tizian Machtolf uns mit – und verdient damit auf jeden Fall einen der Hauptpreise beim Deutschen Jugendfotopreis 2022.
Interview
Wie bist du auf die Idee zu deiner Serie gekommen?
- Zwei Freunde und ich wollten in den Semesterferien jeweils eine Serie zum Thema “Spannung” fotografieren. Bei mir lösten das Gefühl des Lockdowns und das "Eingesperrtsein" eine innere Anspannung aus. Ich war in Pforzheim und dachte sofort an den Haidach – ein dicht bebauter Stadtteil mit vielen Blockbauten. In meiner Vorstellung musste das Gefühl der Anspannung dort noch höher sein, da die Menschen meist keinen Garten besitzen und der Wohnraum auch recht beschränkt ist.
Was möchtest du mit deinen Bildern vermitteln?
- Die Stimmung im Haidach war trotz der von negativen Schlagzeilen geprägten Zeit sehr zuversichtlich. Ich wollte zeigen, dass die Menschen im Warten auf bessere Zeiten ihre Möglichkeiten ausnutzten und das Beste aus der Situation machten.
Und wie hat sich der Lockdown auf deine eigene Balkonzeit ausgewirkt?
- Ich selbst habe leider keinen Balkon in der WG. Dafür bin ich aber so oft es ging in den Park gegangen, um etwas frische Luft zu schnappen und einen freien Kopf zu bekommen.
Was fasziniert dich an der Serie?
- Die Bilder haben alle einen gestellten Charakter. Mich fasziniert daran, all diese ausdrucksstarken Situationen so vorgefunden zu haben. Die Bilder sind sehr reduziert und konzentrieren sich auf die Architektur und Muster der Gebäude sowie die Bewohner*innen. Mir gefällt es, wenn nicht zu viele Dinge im Bild ablenken und das Bild mit seiner Schlichtheit fesselt.
Wie ist die Serie entstanden?
- Ich habe für die Serie meine Fujifilm XT-3 mit einem 35mm sowie einem 50-200mm-Objektiv benutzt. Das Ganze habe ich aus der Hand fotografiert. Die Bilder sind nicht stark bearbeitet, ich habe lediglich in Lightroom die Farben angepasst.
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
- Ich bin nach meinem Abitur für fünf Monate durch Südostasien gereist. Dafür haben mir meine Eltern eine kleine Digitalkamera geschenkt. Ich hatte bis dahin noch keinen direkten Kontakt zur Fotografie, konnte mir dann aber schnell kein Leben mehr ohne vorstellen.
Was fotografierst du am meisten?
- Besonders interessiert mich der Alltag. Ich fotografiere alles, was ich zu sehen bekomme und interessant finde. Meistens Menschen, spontane Situationen, städtische Gegebenheiten und viel Architektur. Aber auch Skateboarding, was einen sehr großen Teil meines Lebens ausmacht. Immer häufiger plane ich auch Shootings mit Models und finde es gut, zusammen Neues auszuprobieren.
Wie hat sich die Corona-Zeit auf deine Art zu fotografieren ausgewirkt?
- Ich konnte sehr viel weniger Street Photography betreiben und habe angefangen, mehr konzeptionell zu arbeiten und zu planen, bevor ich fotografiert habe. Auf jeden Fall hat mir das Fotografieren sehr gut getan, da es bei jedem Spaziergang für Ablenkung sorgte und ich schlechte Gedankenkreise durch kreative Tätigkeiten austauschen konnte.
Hast du Vorbilder in der Fotografie?
- Stephen Shore, William Eggleston, William Klein, Alec Soth sind ein paar Klassiker, die ich sehr bewundere. Von den Jüngeren inspirieren mich Jonas Lindstroem, Viviane Sassen und Dino Kuznik sehr.
Informierst du dich über aktuelle Fotografie und künstlerische Trends?
- Ja. Ich gehe regelmäßig in Ausstellungen und schaue mir an, wie dort gearbeitet wird. Des Weiteren lese ich die Photonews und kaufe mir Magazine/Fotobücher. Trends sind mir nicht so wichtig, mir geht es vor allem darum, für meine eigene Arbeit inspiriert zu werden.
Wo und wem zeigst du deine Bilder?
- Ich wohne mit zwei weiteren Fotografiestudierenden zusammen, weshalb hier immer zuerst die Ergebnisse besprochen werden. Diese landen meist in kleinen eigenen Publikationen oder auf Instagram und meiner Website. Ich habe letztes Jahr zusammen mit Nicolas Schnabel und Ben Sieber das Magazin “3in1” veröffentlicht. Daraufhin folgte meine erste Ausstellung in einer Galerie in Dortmund.
Woran arbeitest du gerade?
- Momentan arbeite an einem Buch über Orte, die wir drei (Ben, Nicolas und ich) fotografisch erkunden und die Ergebnisse dann gegenüberstellen.
Welche persönliche Bedeutung hat die Fotografie für dich?
- Ich habe oft das Gefühl, Dinge zu sehen, die andere nicht wahrnehmen. Deshalb kann ich diese Momente nur in Form von Fotos teilen. Ich bin begeistert von all den Dingen, die man täglich sieht und nicht versteht. Fotografie hilft mir, diesem Verständnis näherzukommen.