Aus dem Fotobuch: Das Giftbuch
Saskia Darija Gettel
Berlin, 24 Jahre
Deutscher Jugendfotopreis 2024
Freie Themenwahl | Altersgruppe D (21-25 Jahre)
Hauptpreis 500 €
Jurybegründung
Das „Giftbuch“ von Saskia Darija Gettel ist Recherche-, Archiv- und eigene Fotoarbeit zugleich. Ihr Opa betrieb jahrzehntelang eine Giftschlangenfarm in der DDR. Wie sie in ihrem Buch mit den verschiedenen thematischen Ebenen umgeht, ist ungeheuer souverän und inspirierend. Da gibt es die alten Bilder von Schlangen und ihren Giftzähnen neben Bildern aus dem früheren Labor. Historische Notizen mit der Schreibmaschine. Gespenstisch fotografierte Möbel, die mit weißen Laken abgedeckt sind – Saskias eigene Bilder – farbig und sensibel oft ausschnitthaft fotografiert. „Ein Paradebeispiel für ein gelungenes Fotobuch bei dem alles stimmt: Das Papier ein haptischer Genuss, das Layout souverän, die Typographie sehr gut integriert. Immer wieder passiert etwas überraschend Neues, das muss einen Hauptpreis bekommen,“ brachte es ein Jurymitglied auf den Punkt.
Interview
Wie ist die Idee zu Deinem Fotobuch entstanden und worum geht es?
- Mein Großvater betrieb seit den 1950er Jahren eine der weniger, später (bis 1990) die einzige Giftschlangenfarm Deutschlands. Die von dieser Berufung und der realsozialistischen Diktatur in Ostdeutschland geprägten Lebenswelt meiner Großeltern hat mich während ihrer Lebzeiten schon brennend interessiert, jedoch habe ich nie einen eigenen Zugang zu ihr finden können. Aufgewachsen mit den Geschichten, die jeder im Dorf kannte, einigen Schlangen und dem Haus, das all das verkörperte, entwickelte sich in mir schon früh der Wunsch mich mit meiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen.
Wie ist das Buch aufgebaut? Welchen Zeitraum umfasst Deine Arbeit?
- Das Buch beinhaltet zwei Bild und zwei Textebenen, die wiederum zwei Zeitebenen zuzuordnen sind. Die Bildebene umfasst die Archivbilder meiner Großeltern (1950-1990), sowie meine eigenen Fotografien (2020), die Textebene neben Schriftstücken aus dem privaten Archiv auch Auszüge der Stasi-Akten meines Großvaters, ergänzend dazu selbst verfasste Gedichte/Texte als Ein- und Ausleitung. Die Bilder und Schriftstücke folgen dabei keiner streng chronologischen Reihenfolge, vielmehr habe ich versucht ein stimmiges Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen zu erreichen.
Wie sah der Arbeitsprozess aus? Wann hast Du angefangen zu recherchieren und wo hast Du die Fotos gefunden?
- Der Arbeitsprozess zog sich über einen recht langen Zeitraum. Nach dem Tod meiner Großeltern habe ich während der Auflösung ihres Haushaltes begonnen Bilder, Dokumente und Gegenstände zu sichten und zu archivieren bzw. zu digitalisieren. In dieser Zeit sind auch meine Fotografien entstanden. Parallel dazu habe ich mehrere Anträge auf Akteneinsicht für die Stasi-Akten meines Großvaters beim BStU gestellt. Nach über 2 Jahren Wartezeit bekam ich Auszüge dieser zugeschickt (über 400 Seiten), die dann auch erst einmal gesichtet werden mussten. Einen Großteil der Zeit habe ich also darauf verwendet, mir die Lebensgeschichte meiner Großeltern zu erschließen, eine eigene Meinung darüber zu bilden und zu schauen, wo ich ansetzen möchte. Das Buch an sich ist dann innerhalb einiger Monate im Rahmen meiner Bachelorarbeit entstanden.
Welche Materialien/ Techniken hast Du verwendet? Wonach hast Du diese ausgewählt?
- Um das analoge Archivmaterial verwenden zu können, musste ich einen geeigneten Weg finden, dieses zu digitalisieren. Beim Scannen ließen sich unter großem Zeitaufwand nur unzufriedenstellende Ergebnisse erzielen, und so entschied ich mich für die Reproduktionsfotografie als Mittel der Digitalisierung. Da die Schriftstücke zudem ein sehr unruhiges visuelles Gesamtbild abgaben (unterschiedliche Farbgebungen, Formate, Erhaltungszustände), kam mir die Idee diese zu transkribieren und ihnen somit ein einheitliches und abstrahiertes Erscheinungsbild zu verleihen. Dafür kam die Schreibmaschine meines Großvaters zum Einsatz.
Was hat Dir am meisten Spaß gemacht? Gab es auch Herausforderungen?
- „Das Giftbuch“ ist die langwierigste und umfangreichste Arbeit die ich bisher in Angriff genommen habe. Dementsprechend gab es auch viele mit Frust und Überforderung gefüllte Tage, an denen ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Auch die Auseinandersetzung mit meiner Familiengeschichte und meinen eigenen Gedanken war teilweise recht fordernd, zeitgleich war diese aber auch meine größte Motivation. So durfte ich in dieser Zeit unglaublich viel entdecken und lernen, meine Fähigkeiten erweitern und mich entwickeln. All das im Ganzen hat mir am meisten Spaß gemacht.
Hast Du eine Lieblingsseite?
- Ja, tatsächlich. (Seite102/103) Es war das erste Bildpaar aus meinen Fotografien und den Archivbildern meiner Großeltern, das sich „gefunden“ hat. Somit der erste visuelle und greifbare Beweis für mich, dass sich meine Idee wirklich umsetzen lässt und die unterschiedlichen Ebenen gut zusammenfinden können.
Was liegt Dir bei dieser Arbeit besonders am Herzen? Und welche Rolle spielt deine Familiengeschichte für das Projekt?
- Da mir ohne meine Familiengeschichte sowohl das Thema als auch die Motivation für das Projekt gefehlt hätten, liegt mir meine persönliche Auseinandersetzung damit besonders am Herzen. Die Möglichkeit zu haben Dinge anzugehen, Lücken zu schließen und das eigene Sein zu entwickeln.
Welche Beziehung hast Du zu Schlangen nach dem Projekt?
- Meine Beziehung zu Schlangen ist unverändert geblieben, da ich (gewissermaßen) mit ihnen aufgewachsen bin. Meine Großeltern, mit denen wir uns Haus und Hof geteilt haben, hielten nach Auflösung der Giftschlangenfarm noch weiterhin einige Riesenschlangen.
Seit wann fotografierst Du und wie bist Du zur Fotografie gekommen?
- Zum Ende meiner Schulzeit hin bin ich, ganz „klassisch“ durch meinen Papa zur Fotografie gekommen. Nach der ersten Hälfte meines Studiums habe ich dann auch meinen (Studien-)Schwerpunkt auf die Fotografie gelegt.
Welche persönliche Bedeutung hat die Fotografie für Dich?
- Fotografie ist zum Ausdrucksmittel meiner Wahl geworden, eine zusätzliche Sprache wenn man so möchte, mithilfe derer ich meinen Gefühlen und Gedanken eine greifbare Form verleihen kann.
Was findest Du am Medium Buch spannend?
- Mich fasziniert die Übertragung eines visuellen Konzeptes in eine haptische Form, die trotz der, mit einem gebundenen Buch, einhergehenden Statik weiterhin dynamisch bleibt. Auch die nahezu endlosen Gestaltungsmöglichkeiten tragen ihren Teil zu meiner Begeisterung bei.
Ist es das erste Fotobuch, das Du erstellt hast?
- Nein, während meines Studiums habe ich bereits ein paar Fotobücher konzipiert und hergestellt.
Wo findest Du Inspiration? Und hast Du ein Lieblingsfotobuch?
- Inspiration finde ich oft beiläufig im Alltag, in Kunst und Kultur (-veranstaltungen), in (Fach-) Buchhandlungen, oder im Austausch mit anderen. Ein Lieblingsfotobuch kann ich leider nicht benennen, dafür gibt es zu viele gute Publikationen.
Woran arbeitest Du gerade?
- Zur Zeit arbeite ich mich durch mein privates Bildarchiv, und experimentiere mit einigen kleinen Projektideen die im Laufe der letzten Jahre liegen geblieben sind.