Jun Morten Yoo - 1. Mai 2023 Frankreich Paris
1. Mai 2023 Frankreich Paris

Jun Morten Yoo

Hamburg, 25 Jahre

Deutscher Jugendfotopreis 2024
Freie Themenwahl | Altersgruppe D (21-25 Jahre)

 

Interview     

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Interview

Wie ist Dein Foto entstanden? Was ist die Geschichte hinter deinem Bild?
- Anfang 2023 fasste ich denn Entschluss, den 1. Mai in Paris zu dokumentieren, da große Ausschreitungen aufgrund einer Rentenreform anstanden. Also fuhr ich ohne viel Geld los nach Paris. Fragte auf Social Media nach dem Ort, an dem die Demo stattfinden sollte und bekam einige Infos. Auf der Demo gab es wie angenommen große Ausschreitungen und ich schoss einige Bilder. Nachdem ich eine Person nach heftigen Auseinandersetzungen auf einer Statue sitzen sah, wusste ich: Das ist das Foto, für das ich hergekommen bin. Es war eine perfekte Mischung aus Aktivismus und Intellekt – für mich ein Zeichen dafür, dass die theoretische Auseinandersetzung ebenso wichtig ist wie die aktive Teilnahme an einer Demonstration. (Da es mir darum ging, den Moment festzuhalten, war es mir in dieser bewegten Situation mit meiner damaligen Ausrüstung nicht möglich, auch den Titel des Buches lesbar zu machen.)

Warum hast Du genau dieses Bild ausgesucht? Was fasziniert Dich an ihm?
- Dieses Bild versinnbildlicht für mich Frankreichs Geschichte, die schon seit dem Sturm auf die Bastille immer wieder zeigt, wie tief eine rebellische Haltung im französischen Volk verwurzelt ist. Durch Aufstände änderten sich immer wieder Herrschaftsformen, Rechte und Gesetze. Auf dem Place de la Nation sitzt auf der Monumentalplastik Le Triomphe de la République ein junger Mann, der sich trotz der bis dato schlimmsten Krawalle der letzten 30 Jahre (jenseits der Gelbwesten-Proteste) seiner Lektüre widmet. Dieser Kontrast hat mich extrem fasziniert.

Wie war die Atmosphäre vor Ort?
- Es war durch Tränengas-Einsätze der dicht gedrängten Polizei extrem stickig, klamm und feucht. Aus ein paar Metern Entfernung herrschte unglaublicher Lärm durch das Geschrei der Protestierenden. Aus einiger Entfernung waren Explosionen zu hören, von den eine den gesamten Platz erschüttert hat. Trotz der beängstigenden Atmosphäre schwang eine solche Euphorie bei den Demonstrierenden mit, die sich schwer in Worte fassen lässt. Sie entstand durch die Menschenmassen, die gemeinsam für das gemeinsame Ziel, ihre Zukunft, kämpften.

Wie wird man als Fotograf*in auf- und wahrgenommen?
- Auf einer derart aggressiven Demonstration wäre es sehr wichtig gewesen, klar als Fotograf gekennzeichnet zu sein. Ich war es nicht. In diesem Ausnahmezustand hat die Polizei alle Menschen angriffen, die auf der Demo mitgelaufen sind. Gegen alle und jeden kamen Schlagstöcke und Tränengas zum Einsatz, vor meinen Füßen ist eine Blendgranate gelandet. Ich stand zwar genau neben den Demonstranten, aber in einem Pulk Fotografen, den die Polizei nicht angegriffen hat. Durch die Kameras fühlten wir uns wie neutrale Berichterstatter – für beide Seiten.

Fotografierst Du häufiger auf Demonstrationen? Welche Verbindung hast Du selbst zu dem Thema?
- Ich glaube, ich habe drei Phasen durchlaufen. Als kleiner Junge haben mich meine Eltern auf Demonstration mitgenommen, da war ich noch im Kindergarten. Dann gab es eine rebellische Teenagerzeit, die in einer Hausdurchsuchung bei meinen Eltern vor dem G20-Gipfel in Hamburg mündete. Daraus habe ich gelernt, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist. Ich habe meine Haltung nicht aufgegeben, aber meine Form des Ausdrucks verändert – seither dokumentiere ich politisch relevante Ereignisse und versuche, Motive aufzunehmen, die mehr als nur die Situation beschreiben.

Seit wann fotografierst Du und wie bist Du zur Fotografie gekommen?
- Mit Anfang zwanzig habe ich mir meine erste Kamera gekauft und begonnen, meine Freunde und meinen Alltag festzuhalten. Ich fand es damals wichtig, der Welt zu zeigen, was sich in meinem Umfeld ungesehen auf Hamburg-St.Pauli abspielte. Damals prägten Alkohol, Drogen und Gewalt mich und meinen Freundeskreis. Durch die Fotografie fand ich einen Weg, mich anders mit meinen Problemen auseinanderzusetzen. Heute nutze ich meine Kamera, um Geld zu verdienen, wenngleich ich auch nebenbei noch in der Gastronomie arbeiten muss.

Was sind häufige Motive?
- Häufig fotografiere ich Menschen und Momente, die meiner Meinung nach authentisch und aussagekräftig sind – wie zum Beispiel Demonstrationen, Subkulturen oder Flüchtlingsbewegungen.

Welche Rolle spielt Politik in deiner Fotografie?
- Politik treibt mich immer wieder um und lässt mich über gesellschaftliche Themen nachdenken. Sie treibt mich häufig an, loszufahren, um wichtige Ereignisse zu begleiten. Meiner Meinung nach lassen sich durch Bilder sehr gut Missstände und Probleme aufzeigen. Menschen reagieren auf Fotos oft mit mehr Empathie als auf reine Textbeschreibungen. Menschen wollen Menschen sehen und nicht nur über sie lesen.

Hast Du Vorbilder in der Fotografie?
- Ich bin ein großer Bewunderer von Fotografen wie cptn_Olf, der mit seinen Bildern wunderbare Geschichten erzählen kann. Von Konstantin Flemig, der immer brandaktuell berichtet und mich aktuell in seinem Blog auf dem Laufenden hält. Von Jake Hanrahan, der die jüngere Generation durch seine Dokumentationen anspricht, die mich an die Bildsprache der Popkultur erinnert. Von Estevan oriol, der in Los Angeles die Hip-Hop-Kultur der Hispanics begleitet und groß gemacht hat. Und von der wunderbaren Martha Cooper, die schon immer ein Herz für Jugendkulturen bewiesen und sie ein stückweit salonfähig gemacht.

Welche persönliche Bedeutung hat die Fotografie für Dich?
- Unter Frage 5 habe ich bereits angedeutet, dass die Fotografie mich aus einem Teenager-Sumpf gezogen hat. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was aus mir geworden wäre, wenn ich diese Leidenschaft nicht entdeckt hätte. Mein Leben hatte plötzlich eine Aufgabe und ein Ziel, das ich verfolgen wollte und will. Ich glaube, nicht jeder Mensch hat das Glück, so eine „Bestimmung“ zu finden. Mit anderen Worten: Mein Leben dreht sich um Fotografie.

Informierst Du Dich über aktuelle Fotografie (künstlerische Trends, Technik etc.)? Wenn ja, wo?
- Ich lasse mich hauptsächlich von meinem Umfeld, zu dem inzwischen diverse Fotografen gehören, sowie auf Social Media inspirieren. Ich habe inzwischen einige Fotobände und Zines unterschiedlichster Fotografen und Fotografinnen in meiner Sammlung. Ich folge vielen Fotografen – meist bei Instagram – und besuche einige ihrer Ausstellungen, manchmal ist es aber auch einfach ein Plakat an einer Litfaßsäule, das mich anspricht.

Wo und wem zeigst Du deine Bilder? Stellst Du deine Fotos aus?
- Gegen Ende des ersten Jahres Pandemie habe ich einen Instagram-Account mit meinen Fotos erstellt. Inzwischen habe ich rund 3500 Follower und, ganz ehrlich, täglich all die Nachrichten zu beantworten, ist ganz schön stressig. Andererseits freue ich mich natürlich darüber, dass so viele Menschen Interesse an meinen Bildern zeigen. Außerdem habe ich in Hamburg inzwischen zwei Ausstellungen gemacht und auch einige Bilder verkauft.

Woran arbeitest Du gerade?
- Momentan arbeite ich an meiner dritten Ausstellung, die in Wien im ersten Bezirk ausgestellt wird, deren Vernissage in der kommenden Woche ist. Zudem plane ich gerade einen Instagram-Post mit einer Freundin, die Journalismus studieren will. Ich war im Mai dieses Jahr in Gibraltar, um die Situation an den Außengrenzen Europas und die Flüchtlingsströme zu fotografieren. Was dabei herauskommt, erarbeiten wir derzeit noch

 

 

Preisträgerfotos + 2024 + Alter: 21–25 Jahre