Aus dem Fotobuch: The Holy Land
Samira Rehmert
Berlin, 23 Jahre
Deutscher Jugendfotopreis 2024
Freie Themenwahl | Altersgruppe D (21-25 Jahre)
Auszeichnung 300 €
Interview
Wie ist die Idee zu Deinem Fotobuch entstanden und worum geht es?
- Es geht um Privileg, um Beobachtungen, Neugierde, Naivität und Grenzen, Gegensätze und Begegnung. Die Idee zu dem Buch gab es eigentlich nie. Ich saß in Jerusalem in einem Kurs über politische Fotografie und habe gemerkt, dass ich zwischen all den diversen Personen sitze, deren zuhause dies ist, und einfach nichts über den Ort weiß. Also bin ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun soll, einfach spazieren gegangen. Und einfach spazieren ist in Jerusalem eben ein enormes Privileg.
Wie sah Dein Prozess aus? Wie lange hat die Recherche für Dein Fotobuch gedauert?
- Die Recherche in dem Sinne war bei mir ja eigentlich die Spaziergänge mit all den Beobachtungen und dann das darüber Sprechen im Kurs in Jerusalem. Dort habe ich oft nochmal unter der Leitung von Miki Kratsman Kontexte und mögliche Erklärungen für meine Erlebnisse erfahren und konnte alles besser einordnen. Dann bin ich mit all den Fotografien und Texten zurück nach Deutschland gekommen und hier ist dann in einem Kurs bei Clara Bahlsen „The Holy Land“ entstanden.
Wie ist das Buch aufgebaut? Welche Materialien/Techniken hast Du verwendet? Wonach hast Du diese ausgewählt?
- Der Titel ist auf Front- und Backcover des Buches verschieden gelasert. Jerusalem ist ein so komplexer Ort, dass er niemals in all seinen Facetten direkt zu erfassen ist – genauso ist der Titel auch von Weitem nur in Teilen lesbar und nicht direkt ganz erfassbar. Die Farben – das durch den Titel durchscheinende blaue Vorsatzpapier, der eingefärbte Buchleim am Buchrücken und die Graupappe – sind für mich eine Hommage an die Farben Jerusalems, an die sandsteinfarbenen Häuser, die graue Mauer und den blauen Himmel. Ein fest eingebundenes Intro und Outro geben Kontext zum Buch, alle vor Ort erlebten persönlichen Geschichten sind für das persönliche Gefühl auf kleine, tagebuchähnliche Zettel gedruckt und lose reingelegt. Diese sind transparent – denn es geht um Barrieren, Zugänglichkeit und gegenseitige Sichtbarkeit. Auch für die japanische Falzung hab ich mich deshalb entschieden – 50% aller Seiten sind nämlich gar nicht wirklich sichtbar und einige davon trotzdem bedruckt – das Buch macht damit also Barrieren, Zugänglichkeit und örtlich nah beieinander liegende Kontraste sowie die daraus entstehende Irritation erlebbar. Material und Produktion des Buches haben also im ganzen Prozess eine mega wichtige Rolle gespielt und waren keine willkürlichen Entscheidungen, sondern haben sich mehr organisch ergeben und sich dann richtig angefühlt.
Warum hast du dich entschieden, Tagebucheinträge mit in das Buch zu nehmen? Wie fühlt sich das an, diese mit der Öffentlichkeit zu teilen?
- Ich denke, dass für das Buch sehr wichtig ist zu spüren, wie persönlich meine Perspektive ist. Denn wenn klar ist, dass die Perspektive eine und auch wirklich nur eine Persönliche ist, dann ist auch klar, dass sie niemals vollständig sein kann. Ich beobachte nur, und Beobachtungen sind meiner Meinung nach immer sehr persönlich und subjektiv. Und ich denke auch: Wenn ich niemals, niemals die ganze Geschichte eines so komplexen Ortes erzählen kann, dann muss transparent sein, wer die Geschichte erzählt und wo mein Horizont auch vielleicht einfach endet. Diese Notizen von meiner Zeit im Holy Land zu teilen, fühlt sich also einfach wichtig an, um keine falschen Behauptungen aufzustellen, sondern stattdessen eher zur Teilhabe an den Spaziergängen und Erlebnissen und Gedanken, so wie sie für mich waren, einzuladen und sie nachvollziehbar zu machen.
Inwiefern spiegelt das Buch Deinen persönlichen Beziehungen zu „The Holy Land“ wider? Wie viel Zeit hast Du dort für die Arbeit verbracht?
- Ich denke das Buch zeigt viel Ambivalenz, die ich bei meinem 5-monatigen Besuch in „The Holy Land“ gefühlt habe und macht vielleicht klar, dass es nicht immer leicht oder ratsam ist von sich zu behaupten, einen Ort wirklich verstanden zu haben. „The Holy Land“ hat mir beigebracht, mir immer erstmal noch mehr Fragen zu stellen, als zu denken die offensichtliche Antwort wäre korrekt oder vollständig.
Was hat Dir am meisten Spaß gemacht? Gab es auch Herausforderungen?
- Noch vor Ort hat mir total Spaß gemacht, meinem Unikurs von den Erlebnissen zu erzählen und dann zu erfahren, warum ich manche Dinge erlebt haben könnte. Das war sehr interessant und ein bisschen wie ne Wundertüte an Aha-Momenten. Außerdem hat mir dann in Deutschland total Spaß gemacht rauszufinden, was für eine Form das alles was ich mitgebracht hab bekommen könnte. Total schwer war, zurück zu sein und die Dinge vielleicht nochmal im Nachhinein ganz anders wahrzunehmen und zu beurteilen, um dann eine Balance zu finden aus Authentizität der Erlebnisse von vor Ort und Reflexion aus dem Nachhinein.
Hast Du eine Lieblingsseite?
- Ich mag ein paar Seiten lieber als andere, aber ich habe keine Lieblingsseite.
Was liegt Dir bei dieser Arbeit besonders am Herzen? Was möchtest Du anderen Menschen mitgeben?
- Mir liegt am Herzen, dass wir uns alle immer wieder fragen, über wie viel Kompetenz wir selbst eigentlich wirklich verfügen oder wie viel auch eben nicht. Und mir ist wichtig, dass wir uns immer wieder persönliche Zugänge zu sehr politisch aufgeladenen Situationen schaffen, damit wir emphatisch bleiben können – unter Reflexion von Privilegien. Jerusalem ist nicht nur ein politischer Konflikt, sondern auch ein Zuhause und besteht aus vielen, vielen Leben, die dort täglich stattfinden.
Seit wann fotografierst Du und wie bist Du zur Fotografie gekommen?
- Richtig fotografieren hab ich erst im Studium angefangen. Vorher hatte ich eine Kamera, bei der ich Angst hatte, ihr nicht gerecht zu werden – im Studium hab ich dann den nötigen Stoß bekommen, sie endlich auch zu benutzen.
Welche persönliche Bedeutung hat die Fotografie für Dich?
- Ich denke Fotografie ist etwas, das emotionale und intime Zugänge zu großen, gesellschaftspolitischen Themen schaffen kann, das beeindruckt mich sehr. Davon abgesehen ist Fotografie für mich ein ständiger Vertrauenstest und manchmal auch ein Vorwand, vertraute leichte intime Zeit mit Personen zu verbringen und ohne viel Ablenkung direkt rauszufinden, was uns wirklich beschäftigt. Und Fotografie ist für mich was, das eine Stimme geben kann.
Ist es das erste Fotobuch, das Du erstellt hast?
- Ja! „The Holy Land“ ist mein erstes Fotobuch.
Was findest Du am Medium Buch spannend?
- Ich mag an Büchern sehr, dass man sie immer wieder aus dem Regal nehmen und mit neuem Blick anschauen und neu verstehen kann. Ich mag, dass man Bücher in die Welt hinausgeben kann und dann eigentlich gar nicht mehr so genau weiß, wo und bei wem sie mit der Zeit landen werden. Und ich mag an Büchern, dass sie auch als Medium an sich in ihrer Gestaltung und Materialität noch etwas erzählen können zusätzlich zu ihrem textlichen oder fotografischen Inhalt.
Wo findest Du Inspiration?
- In anderen Fotobüchern und Ausstellungen, aber mindestens genauso viel bei mir nahestehenden Personen in meinem Umfeld.
Welches ist Dein Lieblingsfotobuch?
- Jetzt gerade „Marvel“ von Marvel Harris und „Ein falsches Märchen“ von Meera Anais Lehr.
Woran arbeitest Du gerade?
- Gerade arbeite ich an etwas über intime zwischenmenschliche Beziehungen als safe spaces innerhalb patriarchaler Strukturen, „The Room Inbetween“.